Benjamin Estermann: »Das Tanzen hat mich immer weitergebracht«

Wenn das Licht angeht, die Musik ertönt und alle Menschen gespannt auf das Parkett schauen, ist Benjamin Estermann in seiner eigenen Welt. „Ich habe immer ein bisschen Lampenfieber, aber es macht sehr viel Spaß und ich mag die Herausforderung“, erzählt der 35-Jährige über einer seiner größten Leidenschaften: das Tanzen!

Egal ob Salsa, Rumba oder Walzer – Benjamin hat in den vergangenen Jahren die verschiedensten Tanzstile trainiert, und das mit Erfolg. 2017 und 2018 konnte er zweimal einen Pokal in der Kategorie „Salsa – Para Combi“ bei der Offenen Deutschen Meisterschaft gewinnen. „Para-Combi“ bedeutet, dass ein Tanzpaar aus je einem Tänzer mit und ohne Behinderung besteht. Benjamin hat eine Achillessehnenverlängerung und ist deshalb beim professionellen Tanzen auf einen Rollstuhl angewiesen. „Ohne Rollstuhl geht es nicht, weil ich mich schwer zum Takt bewegen kann. Mit dem Rollstuhl ist allerdings alles möglich“, erzählt Benjamin, der seit 2007 in der Betriebsstätte „Am Osterbruch“ in Lübbecke beschäftigt ist.

 

Training und Leidenschaft zahlt sich aus: Benjamin holte 2017 den dritten Platz und 2018 den vierten Platz in der Kategorie "Salsa - Para Combi" bei der Offenen Deutschen Meisterschaft.

 

Vom Abschlusstanz zum Musical auf der großen Bühne

Zum Tanzen gekommen ist Benjamin vor knapp 15 Jahren in der Berufspraxisstufe an der Schule am Buschkamp. „Wir hatten damals einen Tanzlehrer namens Winfried Mahle in der Schule, der einen Tanzkurs für Menschen mit Behinderung angeboten hat. Winfried hat gesehen, dass ich für den Takt zu langsam war und mir dann angeboten, dass er eine Gruppe für das Rollstuhltanzen aufbauen möchte, wo ich dann letztendlich mitmachen durfte“, so der gebürtige Lübbecker.

Bei der Veranstaltung „Westfälischer Abend“ kam die Tanzlehrerin Patsy Hull auf Benjamin zu und erzählte ihm, dass sie ebenfalls das Rollstuhltanzen anbieten und ein großes Musical aufführen möchte, wo er gerne mit dabei sein könne. Benjamin musste nicht lange überlegen und er war ab sofort Teil von „Magic Journey“, ein Musical, in dem 200 Darstellerinnen und Darsteller mit und ohne Behinderungen auf einer Kreuzfahrt mit dem Luxusliner namens „Dreamboat“ unterwegs waren. Am 08. März 2012 feierte das Musical in der Stadthalle Osnabrück Premiere. Neben einem Auftritt in der Stadthalle Limburg und der Münsterlandhalle wurde das Musical ebenfalls in der Stadthalle Lübbecke aufgeführt.

Dieses Musical sollte allerdings nicht das Letzte für Benjamin sein. Durch einen gesponserten und speziell angefertigten Aktivrollstuhl vom Rotary Club Lübbecke war es Benjamin möglich, Teil vom bisher größten Inklusionsmusical Deutschlands dabei zu sein. „Grand Hotel Vegas“ war ein vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördertes Projekt, welches 2015 in zehn Städten aufgeführt und mehr als 11.000 Besucherinnen und Besucher begeisterte. Das Stammensemble des Musicals bestand aus Tänzerinnen und Tänzern der Tanzschule Patsy Hull und der Lebenshilfe Lübbecke.

Vor allem das Tanzen im Musical hat es Benjamin angetan: „Musicals begeistern mich einfach, weil man dort eine ganze Geschichte erzählen und in verschiedene Verkleidungen schlüpfen kann.“

 

Tanzen verbindet

Durch die verschiedensten Auftritte hat Benjamin über die letzten Jahre viele Kontakte geknüpft und es sind einige Freundschaften entstanden. Einer seiner prägendsten Begegnungen war die mit Kassandra Wedel. Sie ist europaweit die erste gehörlose ausgebildete ADTV-Hip-Hop-Tanzlehrerin.

„Ich habe eine Show von Eckart von Hirschhausen gesehen, wo Kassandra zu Gast war. Abends habe ich sie bei Facebook angeschrieben, wie begeistert ich wäre und ich ihr erzählt habe, dass ich in Osnabrück Rollstuhltänzer bin. Am nächsten Morgen hatte sie mir tatsächlich geantwortet“, erzählt Benjamin. Aus einer langjährigen digitalen Brieffreundschaft ist eine echte Freundschaft entstanden. Kassandra Wedel war ebenfalls Teil des Musicals „Grand Hotel Vegas“ und spielte auch bei der Show in Lübbecke mit.

 

Großer Auftritt in Bonn

Am morgigen Samstag, den 11.03.2023, wird es für Benjamin und seine derzeitige Tanzpartnerin Birthe Klumpe ernst. Bei der Qualifikation für die nationalen Winterspiele 2024 treten beide in der „Paare Unified“-Kategorie an. Dafür trainieren beide jeden Samstag seit dem 10. Februar von 09:00 – 12:00 Uhr in Osnabrück. „Was das Tanzen angeht, haben wir vor, viel allein zu tanzen. Sie ist eine fitte Fußgängerin, die sich gut bewegen kann. Die Vorgaben vom Gremium sind, dass man 30 oder 40 Sekunden zusammen tanzen muss“, erklärt der 35-Jährige.

 

Voller Vorfreude auf die Show am Samstag: Benjamin Estermann (r.) mit seiner Tanzpartnerin Birthe Klumpe (l.).

 

Ziele und Wünsche für die Zukunft

Neben der Qualifikation für die Winterspiele steht in diesem Jahr Benjamins bisheriger Höhepunkt seiner Tanzkarriere auf dem Programm. Vom 17.06. – 19.06. ist er in Berlin und tanzt bei den Special Olympic World Games am Alexanderplatz und am Brandenburger Tor. Für das Event unter dem Motto „One World“ tanzen 100 Tänzerinnen und Tänzer mit und ohne Behinderung. „Ich bin überwältigt, dass ich bei den Special Olympics am Brandenburger Tor tanzen darf. Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit komme“, sagt Benjamin voller Vorfreude, „Tanzen ist ein großer Teil meines Lebens und hat mich immer weitergebracht.“


Zur Person:

Benjamin Estermann ist in Lübbecke geboren und in Tonnenheide aufgewachsen. Er war als Kind in der Kindertagesstätte „Sonnenschein“, dann auf der Schule am Buschkamp und ist danach in der Betriebsstätte „Am Osterbruch“ angefangen. Hier arbeitet er in der Beschlagmontage und teilweise in der Zentrale. Benjamin war im Werkstattrat und ist seit Februar 2022 im Lebenshilferat aktiv. Derzeit hat Benjamin den Kalender des Lebenshilferates neugestaltet, mit einer besseren Übersicht auch für Menschen, die nicht lesen können. Neben dem Tanzen betreibt er Wettkampfschwimmen und begeistert sich für Technik.

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